Bevor Sie die Bilder von Barbara Steitz weiter ansehen, möchte ich Ihnen dazu noch einige Anmerkungen geben, zurnal ich in der privilegierten Lage war, den Entstehungsprozeß einiger der Bilder miterleben zu können. Diese Genese, die bei den meisten Bildern gleich verlaufen ist, könnte eine Hilfe zum Verständnis und sich Einfühlen sein.
Angenommen, es gäbe auf Erden nur schwarze und weiße Farbe, viel leicht würde unsere Künstlerin nicht malen. Ich glaube schon, daß es eher die Farben sind, als die Formen, die ihren Gestaltungstrieb stimulieren. Allerdings ist die Frage, ob Farbe oder Form ein müßiger Streit, genau wie der um Henne und Ei. Während eigentlich alle ihre Bilder aus der Farbe heraus leben, bestimmen natürlich auch die Formen den Bildcharakter.
Es sind immer wieder Figurationen unterschiedlicher Struktur, Farbigkeit, Größe und Beschaffenheit, die verstreut oder gestapelt, aufgetürmt oder verzahnt, stehen, liegen, hängen. Es sind Assemblagen von zersprungenen, zerknüllten, verhüllten Gegenständen, die oft nur vage zu bestimmen sind. Nicht die heilen, ästhetisch reiz vollen Dinge wählt die Künstlerin zu ihrem hauptsächlichen Bildgegenstand, sondern 'Trümmer', 'Strandgut', 'Geborstenes'.
Als Anregung für ihre Bilder dienen ihr Fotoserien, die sie an Ort und Stelle aufgenommen hat, zum Beispiel gesprengte Häuser, von Planierraupen zerstörtes Gelände oder die Überreste einer aus gebrannten Lackfabrik.
In letzter Zeit bezieht sie auch Aufnahmen von Kriegsschauplätzen in ihre Arbeiten ein. Das Foto-Material wird allerdings nur zur anfänglichen Orientierung herangezogen. Das Anliegen von Barbara Steitz ist es nicht, Fotos in Malerei umzusetzen, d. h. bloße Abbilder naturalistisch und wirklichkeitsgetreu wiederzugeben. Gestalterische und malerische Absichten stehen bei ihr im Vordergrund. Der endgültige Bildaufbau steht anfangs nie fest. Er kristallisiert sich erst langsam während eines langwierigen Arbeitsprozesses heraus.
Die Formgefüge werden genau ausgeklügelt. Was da so zufällig chaotisch in den Bildern liegt ist zufällig chaotisch geordnet. Nicht selten übermalt die Künstlerin ganze Bildpartien zugunsten einer formalen Verbesserung. Der Malprozeß wird bestimmt durch den Wunsch nach gesteigerter Spannung und Geschlossenheit des Gesamteindruckes. Dabei müssen naturalistische Elemente zwangsweise einer stärkeren Abstraktion weichen. Das Ausschnitthafte und Monumentale einzelner Bildgegenstände in den zahlreichen Diagonalkompositionen unterstreichen dies.
Als eine Herausforderung empfindet Barbara Steitz das große Format. Es stimmt nämlich, daß sich Fehler mit dem Format vergrößern. Ich meine, sie braucht dieses Format nicht zu scheuen.
Eine andere Herausforderung ist für sie die Verbindung von materiellen und organischen Elementen, die teilweise als Relikte menschlicher Körper konkretisiert sind. Sie liegen passiv, ohnmächtig, leblos zwischen den Dingen, haben das gleiche Schicksal erlitten wie sie, sind Opfer einer vorangegangenen Katastrophe, eines Unfalls, Verbrechens. Einer Stimmung aus Trauer und Trostlosigkeit über mögliche Bedrohungen kann sich beim Betrachten niemand entziehen.
Jene Stimmungslage wird durch eine meist zurückhaltende Farbigkeit der Bilder noch verstärkt. Dominierend ist der Farbakkord Englischrot-Ocker-Indigo-Türkisblau. Warmes Rostrot kontrastiert mit Eiskaltem. Daneben immer wieder weißliche, dunkle und graunuancierte Partien, wobei die schwarzen Stellen morbide und wie verkohlt wirken.
Ob mit breitem oder dünnem Pinsel aufgetragen: Die Farbmodulationen besitzen immer etwas Samtiges, Transparentes, Locker-Laszives. Dies rührt wohl von der selbst hergestellten Tempera bzw. Acrylfarbe her. Der pulsierende und akzentuierende Pinselduktus macht die Bilder lebendig-bewegt. Sie sind rhythmische Farbgewebe, in denen es keine Vereinzelung der Bildteile gibt.
Sie werden feststellen, daß sich die Formen erst ab einer gewissen Distanz zum Bilde verfestigen. Selbst beim Malen bleibt es der Künstlerin nicht erspart, das Bild immer wieder aus mindestens 5 m Abstand zu überprüfen. Natürlich wäre dies auch für den Betrachter der ideale Abstand.
Es fehlt eben die umreißende Linie als Blickbahn und Augenführerin. Auf diese Art und Weise wird es uns erschwert, die Körper zu begreifen. Dieses Malerische in den Bildern ist eine Auffassung, die uns dem bloßen optischen Schein der Dinge überläßt und auf die 'greifbare' Zeichnung verzichtet. Der Akzent liegt nicht auf den Grenzen der Dinge als feste, faßbare Werte, sondern auf der offenen Form. Die Erscheinung spielt ins Unbegrenzte hinüber und die Dinge schließen sich erst insgesamt zusammen.
Komposition, Licht und Farbe stehen weitgehend nicht im Dienste der Formaufklärung, sondern führen ihr eigenes Leben. Es entsteht keine absolute Klarheit. Ja, ich bemerke sogar eine Art Verklärung und Transzendentierung: was ich unter anderem dem eigenwilligen Lichteinsatz und den Hell-Dunkel-Kontrasten zuschreibe.
Im Verzicht auf eine Begegnung mit vertrauten Gegenständen und Situationen bleibt uns der Inhalt der Bilder über weite Teile hinweg verborgen. Interpretationsanstrengungen versuchen, die entstandene Irritation und Verunsicherung zu bewältigen.
Was Ihnen beim Betrachten der ausgestellten Bilder in den Sinn kommt, das hängt von Ihrer individuellen Biographie, ihrer Laune, ihrer psychisch-physischen Verfassung etc. ab. Die meisten von uns aber werden in den Bildern Metapher der Vergänglichkeit sehen. Was das Sujet angeht, stehen sie damit in der Tradition der Vanitas-Stilleben des Barock oder der Ruinenmalerei der Romantik.
Die gemeinte Vergänglichkeit ist jedoch nicht jene, welche zum ständigen Kreislauf des Kornmens und Gehens gehört. Sie bedroht uns nicht. Im Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Präsenz von zerstörerischer Gewalt durch Krieg, Verbrechen, Katastrophe wird sie bedrohlich und beängstigend.
Die Bilder sollen nicht als Ausdruck eigener, persönlicher Ängste angesehen werden, sondern vielmehr als Ausdruck der allgemeinen Ängste unserer Zeit. Sie spiegeln die schrecklichen Geschehnisse, die sich tagtäglich in unserer Welt ereignen und uns über die Medien nahegebracht werden, wider.
Neigen wir nicht allzugerne dazu, Unangenehmes zu verdrängen? Das Anliegen der Künstlerin ist es, durch ihre Fingerzeige auf den Tod gegen diesen Verdrängungsmechanismus vorzugehen. Ihre Bilder sollen allgemeine Ängste bewußt machen und als Folge Aktivitäten gegen bestimmte Bedrohungen auslösen.
Vergessen Sie aber bei allem Nachsinnen das Sehen nicht. Bilder sind in erster Linie Augenreize und Barbara Steitz will sich eher als Malerin, denn als Öko-Polit-Sophistin mit missionarischem Eifer verstanden wissen.
Sie bemüht sich um die Vervollkommung ihrer Malerei, um moderne, d. h. zeitgemäße, nicht modische Sujets, um. Selbstausdruck und Selbstfindung im Malprozeß und um eine verbindliche Malerei, die anstößt, ohne anstößig zu sein. Sie macht es sich selbst nicht leicht und verfolgt mit Vehemenz ihren hohen Anspruch, kraftvolle und sensible Bilder zugleich zu malen.
Es dauert schon seine Zeit, bis sie zufrieden ist und sagt: 'Ich glaube, so kann ich es lassen.' Dann ist das Bild gereift und es drängt sie nichts mehr dazu, weiter Hand anzulegen.
Wenn der Maler aufhört, sich mit seinem Bild zu beschäftigen,
fangen die Ausstellungsbesucher erst damit an.
Ulrike Ernst, 1984