"katzentrisch"

Wer das Wortspiel "katzentrisch" im Hinblick auf die Bilder von Barbara Steitz zu analysieren beginnt, der denkt natürlich zuerst an "Katze", was angesichts des Bildgegenstandes nicht erstaunlich ist. Das "zentrisch" verweist auf "mittig", im Mittelpunkt befindlich. Das würde bedeuten, wir sollten unser Augenmerk auf die Katze lenken. Warum also gerade die Katze? Kein anderes Tier hat eine so enge Beziehung zum Menschen entwickelt wie die domestizierte Katze. Dabei hat sie sich nie zu seinem Untertan gemacht. Im Gegensatz zum Hund kann die Katze auch ohne den Menschen überleben. Sie vereint in sich Unabhängigkeit und Stolz mit Anschmiegsamkeit und Rückzug, sie scheint Vernunft-und vor allem erotisches Triebwesen in einem zu sein. Sie scheint das auszuleben, was dem Menschen nur bedingt möglich ist. Der urbane Mensch holt sich die Wildheit der Natur ins Haus, der Tiger kommt in die Stube. Die Katze steht als Symbol für das Haustier Mensch, das die freie Entfaltung seiner Natur genauso benötigt wie die Katze. Bis heute hat sie ihre Faszination als Teil der menschlichen Gemeinschaft, als auch als Gegenstand der bildenden Kunst nicht eingebüßt.

Die Ägypter verehrten unter dem Bild der göttlichen Katze die Göttin Bastet als Wohltäterin und Beschützerin der Menschen. Daher gibt es dort viele künstlerische Katzen-Darstellungen. Aus Ägypten kamen Katzen in der Spätzeit nach Griechenland und Rom und wurden als Attribute der Göttin Diana angesehen. Bei den Kelten symbolisierten Katzen böse Mächte und wurden häufig geopfert, während bei den Nordgermanen die Göttin Freya in einem von Katzen gezogenen Wagen vorgestellt wurde. Als trügerisch galt das je nach dem Lichteinfall veränderte Auge der Katze. Ihre Fähigkeit, auch in fast völliger Dunkelheit zu jagen, brachte sie in den Ruf, mit den Mächten der Finsternis verbunden zu sein. Sie wurde mit Lüsternheit und Grausamkeit in Verbindung gebracht und galt vor allem als Hilfsgeist der Hexen, die oft auf schwarzen Katern geritten sein sollen. Im Mittelalter und in der Renaissance wird die Katze ohne besondere symbolische Bedeutung als Haustier gezeigt. Allerdings wird sie anscheinend dem Bereich des Dämonischen zugeordnet, was einem Bild von Lorenzo Lotto zu entnehmen ist, auf dem bei der Ankunft des Verkündigungsengels eine Katze vor Entsetzen flieht. In der Epoche der Aufklärung wurde die Katze in Literatur und bildender Kunst zum Sympathieträger. Im 19. und 20. Jahrhundert gibt es eine Vielzahl von Künstlern, die sich in ihrem Werk mit diesem gleichermaßen anziehenden wie rätselhaften Wesen beschäftigt hat. Sie ist auf Bildern der Impressionisten wie Renoir und Bonnard, Corinth und SIevogt genauso zu sehen wie auf denen der Expressionisten Kirchner und Marc, bei Beckmann und Klee bis hin zu Andy Warhol.

Barbara Steitz hat also die Katze als Sujet nicht als erste für sich entdeckt. Der Bildgegenstand ist nicht neu, aber die Intention. Der Malerin geht es hier nicht nur um das Sichtbare, die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit. Deshalb auch die äußerste Reduktion: Die Beschränkung auf den Kopf des Tieres zum einen und dessen lediglich rudimentären Andeutungen zum anderen. Sie steht als Metapher für die gesamte Kreatur.

Wo die Malerei beginnt, wird das Motiv sekundär. Die Katze möge es verzeihen. Natürlich steht hinter der Motivwahl eine Faszination aus den erwähnten Gründen. Es geht aber vor allem um den Dialog zwischen der Malerin und ihrem Thema, nämlich der universellen Wahrnehmung visueller und energetischer Vorgänge. Tier, Mensch, Welt, Kosmos .,. gibt es ein Synonym für alles? Jedenfalls gibt es eine Energie, die alles durchdringt, die alles zusammenhält. Kann diese Energie sichtbar, spürbar gemacht werden?

Was wir sehen ist Malerei in einer Intensität, die uns die Grenzen der Sprache aufzeigt. Dies sei nur ein Versuch. Formal gesehen bietet der Kopf der Katze mit seiner Kugelform, den spitzen Ohren, den ovalen Augen mit der runden oder schlitzförmigen Pupille und der ungefähr symmetrieachsen-bildenden Nasenpartie die Ausgangssituation. Aber schon die anscheinend unendliche Variationsvielfalt der Bilder lässt die thematische Wiederholung vergessen. Dabei kommt weder eine inhaltliche, noch stilistische Penetranz auf, von wegen Kenn-ich-eineskenn-ich-alle. Die Vielschichtigkeit der Bilder offenbart uns den Schaffensprozess, gleichzeitig aber auch den technisch höchst versierten Umgang mit Farbe und die Bewältigung des Formats. Klein oder groß gehalten wird es zum Ereignis. Dabei bilden Cyan und Zinnober einen Primärklang, der sich durch fast alle Bilder zieht. Mit sicherer Geste aufgetragen bilden sich Farbmodulationen vom hellen Blautürkis bis ins Karminrotdunkel und ziehen uns von einer Temperatur in die andere. Lasierend aufgetragene Farbschichten suggerieren einen Eindruck von Tiefe, wie auch das zurückdrängende Blau und die sich nach vorne schiebenden Rottöne. Es entsteht ein rhythmisches Vor-und Zurückspringen, was unser Auge unablässig in Bewegung hält. Andererseits lassen senkrecht fallende Farbschleier bisweilen nur erahnen, was sich dahinter befinden könnte. Größere Farbflächen bilden Ruhepole, die sich um die teilweise monumentale Binnenzeichnung legen, sie aber auch durchdringen. Es existiert keine feste Kontur, kein innen und außen. Wie aufgesprengt legt sich ein mehr oder weniger dichtes Formengefüge übereinander, teilweise kristallin scharfkantig bleibt es aber immer als ein Konglomerat offener Farbflächen stehen. Das erinnert an prismatische Lichtbrechungen innerhalb eine lichten, kühlen Atmosphäre.

Die Bilder entbehren nicht einer gewissen Dramatik. Farbbahnen schieben sich ins Bildzentrum, werden dort zerschnitten, durchbohrt, überfahren. Ein kaum durchschaubarer Tumult aus sich ineinander schiebenden, hartkantigen, spitz zulaufenden Farbflächen, ein Drunterund-Drüber fein nuanciert-veränderter transparenter Farbfolien. Da scheint große Emotionalität im Spiel. Ein scheinbar aggressiver Akt, der aus der Zerstörung heraus ein Gebilde erwachsen lässt. Da wird verworfen und neu übermalt. Da entstehen immer wieder neue Situationen, und es kommt der Moment, an dem einen die Komplexität des Gebildes zu überwältigen droht und man kapitulieren möchte. So wird jedes Bild für die Malerin zu einer neuen Herausforderung. Allerdings: Dies ist nicht die oft hochstilisierte, fast martialisch anmutende kämpferische Auseinandersetzung zwischen dem Maler und seinem Werk. Allein die schöpferische Kraft fließt zwanglos und unangestrengt, gleich einem Energiefluss, der die Künstlerin beim Malen leitet und in ihre Bilder einströmt.

"Katzentrisch" könnte demnach noch ganz anders gedeutet werden. Isolieren wir nämlich das "zen" in der Mitte, so drängt sich noch einmal der Bezug zur Künstlerin selbst auf. Beeinflusst von der fernöstlichen Philosophie des Zen sagt Barbara Steitz dazu: "Ich betone beim Arbeiten die bewusste innere Leere und Offenheit, möglichst frei von Emotionalität, die sich vollkommen auf das Bildgeschehen einlässt. Die Malerei wird zur Meditation. Die Bilder wachsen, verändern sich, ohne aggressives Vorgehen. Kommt doch Emotionalität ins Spiel, wird sie angenommen, nicht bekämpft. Das Übermalte scheint teilweise durch, ist erahnbar, bleibt jedenfalls in seiner energetischen Kraft im Bild erhalten. Die Bilder bekommen so eine innere Dynamik, in der Vergangenes, Gegenwärtiges, Wandel und Zeitabläufe integriert werden. Der Malprozess wird dann abgeschlossen, das heißt, das Bild ist dann fertig, wenn es den Zustand eines dynamisch-harmonisches Spannungsverhältnisses erreicht hat, ähnlich dem Yin-Yan-Prinzip, welches auf Gegensätzen beruht, sie doch in Harmonie steigert und gleichzeitig vereint."

Wir sehen Katzenartiges, wir sehen aber auch uns selbst, indem Mensch und Tier synonym werden. Der Kopf, der Blick weist nach innen auf die Seele, das Wesentliche. Die Bilder zeigen, was in uns und mit uns passieren kann. Alles spielt sich im Spannungsfeld der kontrastierenden Formen und Farben ab, der Fülle und der Leere, im Wechselspiel zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen, der Polarität zwischen dem Zusammenfügen und dem Auflösen, zwischen dem Einzigartigen im Immerwiederkehrenden, während eine harmonische Balance dem Abdriften, dem Kippen, dem Überborden entgegenwirkt. Innerhalb dieser Harmonie geht nichts verloren, es verwandelt sich nur.

Ulrike Ernst, 2008