Gedanken zu Barbara Steitz

„In der Kunst kommt die Praxis immer vor der Theorie“, sagte Pablo Picasso. In gewisser Weise trifft das auf die Künstlerin Barbara Steitz zu, wenn wir, und das ist bitter, zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie sich selbst zu ihrem Werk nicht mehr äußern kann. Noch bevor sie sich intensiver um eine schriftliche Erläuterung bzw. den theoretischen Hintergrund kümmern konnte, ist sie gestorben. Was von ihr bruchstückhaft zu lesen ist, oder welche Erläuterungen von ihr in Erinnerung geblieben sind, kann nur noch aus zweiter Hand post mortem zusammengefasst werden.

Man kann sagen, dass sich durch ihr gesamtes Werk ihr enges Verhältnis zur Natur, zu Naturphänomenen, zu Mensch und Tier als Naturwesen zieht. Die Welt als großes vernetztes System, mit Ereignissen, die alle miteinander zusammen hängen. Gleichzeitig war sie fasziniert von Phänomenen, die auf eine existierende, aber nicht sichtbare, andere Welt hinweisen. Das Schamanentum, der Kontakt zu Ahnen, Zeichen und Symboliken mit ihrer spezifischen Magie, zog sie bedeutsam in ihr Werk mit ein. „Ein Künstler darf spekulieren.“, war ihr freigeistiges Credo. Auf der Suche nach der Wahrheit sei dem Künstler alles erlaubt, wem sonst? Die Welt als Multiversum mit ihren mannigfaltigen Beziehungsgeflechten, die Parapsychologie, die Quantenphysik, sie hat sich dafür interessiert und wollte es verstehen. Sie war geradezu empathisch gegenüber allem, was ihr begegnete, gleich einer euphorischen Weltumarmung. Der direkte Kontakt zu dem, was sie umgab, das Verströmen von energetischer Kraft, sollte auf ihre Umgebung ausstrahlen und diese positiv verändern. Sie hat oft von einem geistigen Zustand gesprochen, der sie erfüllt und öffnet für solche Energieströme. „Ohne Anstrengung fließt es aus mir heraus.“ Und so werden ihre inneren Bilder sichtbar. In der Meditation suchte sie ihren inneren Kern, sich selbst. Dabei fand sie im Zen-Buddhismus ihren geistigen Hintergrund, mit dem Ziel, der Erleuchtung näher zu kommen, was über die Meditation hinaus geht. Sie war auf der Suche nach der Einheit von Körper und Geist, nach der Aufhebung der Materie in einem harmonischen Sein. Es waren die unendlichen Feinheiten der Empfindungen und des Bewusstseins, die sie wahrnehmen wollte. Schließlich war es das Abbilden von Transzendentem, von Nicht-Fassbarem, im wahrsten Sinne des Wortes, das ihre Arbeit bestimmt hat.

Wie spiegelt sich nun die Gedanken-Welt von Barbara Steitz in ihren Themen und ihrer Malerei? Wir finden meist nichts direkt Biographisches, schon gar keine Selbstporträts. Tiere, Pflanzen, Gesichter, Interieurs sind zu sehen. Wir sehen eine elegante Malerei, schwerelos fast, zeitlos frisch in der Farbigkeit, meist ohne Schwarz. Die Farbwahl geht oft von einem Dreiklang aus: Cyan, Zinnober, Gelb, einer prismenartigen Farbpalette. Lichtreflexe und -brechungen, Farbmetamorphosen breiten sich facettenartig über die großen Formate aus. Lichtdurchflutung. Materie wird umgewandelt, löst sich illusorisch auf, Konturen werden negiert und ins Ungefähre transponiert. Körper und Raum verschmelzen oder durchdringen sich, Materie wird Geist und die Deutung immer diffiziler. Alles ist eingebunden in eine virtuose Koloristik. Die Arbeiten sind bis ins letzte Detail durchdacht, da gibt es keine durch experimentelle Zufälligkeiten entstandenen Stellen.

„Erscheinen die Bilder in der Farbverteilung harmonisch, geht dennoch eine innere Kraft und Dynamik von ihnen aus. Dies geschieht durch den bewussten Einsatz von Gegensatzpaaren, gleich dem daoistischen Yin-Yang-Prinzip, in dem die Welt ausschließlich aus polaren Kräften besteht, die sich im Wechselspiel ergänzen. In den Bildern kontrastieren weiche verhaltene Farbflächen mit bewegten, dynamischen Farbfeldern, ruhiger Pinselstrich trifft auf heftigen Duktus, unbestimmte Form begegnet bestimmter Form, runde Elemente treffen auf eckige, Hell trifft auf Dunkel. Sind diese polaren Elemente im Bild gleich stark verteilt, erscheint ein ausgewogener Gesamteindruck, das duale Prinzip scheint vorübergehend als nondual erlebbar. Da dieses Kräftespiel im Leben dem dynamischen Prinzip unterliegt und sich ständig im Wechsel zugunsten einer der beiden Pole befindet, scheinen diese Momente des Gleichklangs kostbar und von kurzer Dauer. Ich suche sie in meiner Malerei. Um dahin zu gelangen, ist oftmals ein längerer Übermalungsprozess nötig.“

Die ausdrucksstarke Umsetzung einer Idee war für die Künstlerin der nicht versiegende Antrieb. Das Ende einer Arbeit war der Anfang der nächsten, deutlich sichtbar an der Bildfolge. Und so erklärt sich auch das umfangreiche Werk. In einigen Bildern, besonders da, in denen Gesichter zu sehen sind, scheint es bisweilen so, als wäre sie im Gespräch gewesen mit El Greco und seiner Vergeistigung und Rätselhaftigkeit. Ob der Einfluss ihres Professors an der Kunstakademie Karlsruhe, Albrecht von Hancke, sichtbar ist, kann man nur vermuten.

Ihre Liebe zu Paris entdeckte sie besonders während ihres sechsmonatigen Residenzstipendiums in den landeseigenen Ateliers an der Cité internationale des Arts, das an außergewöhnlich begabte und qualifizierte Künstlerinnen und Künstler aus Baden-Württemberg vergeben wird. Für einige Jahre blieb Paris dann auch ihr neues Domizil. Hier boten sich vielfältige Möglichkeiten, außereuropäische Kulturen kennenzulernen und zu studieren. Besonders die Formensprache und Magie der afrikanischen Stammeskulturen gaben ihr starke Impulse.

Dies alles zusammen bildet letztendlich die intendierte Synthese aus Realität und Transzendenz. Das war das permanent angestrebte Ziel der Künstlerin. Ihr Werk ist mitnichten nur ein ästhetisches Erlebnis, es atmet Leben und ist erfüllt von Schönheit und Geist, dem Spirit von Barbara Steitz.

Ulrike Ernst, 2022